Veröffentlicht von CareerBuilder Germany am 11 Mai 2015
Themen: Arbeitsrecht - HR Management & Strategie - Arbeitsmarkt | 1 Kommentar

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Ein Interview mit Arbeitsrechtsexpertin Katharina Schumann.

Seit Beginn des Jahres haben Arbeitnehmer in Deutschland gesetzlichen Anspruch auf einen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Arbeitsstunde. Doch was hat sich seitdem auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich geändert? Welche Unternehmen und Tätigkeitsbereiche sind von dem neuen Gesetz betroffen, gibt es Ausnahmeregelungen und welche Folgen hat der Mindestlohn für Arbeitgeber und Wirtschaft? Wir haben mit der Fachanwältin für Arbeitsrecht Katharina Schumann aus der Kanzlei Lehner und Kollegen in München über die wichtigsten Fragen gesprochen.

icon_question_150pxGerade Arbeitgebervertreter werden in den Medien oft als Mindestlohnskeptiker dargestellt. Eine brandaktuelle Studie von techconsult hat jetzt 200 Mittelständler bis 999 Mitarbeiter befragt und herausgefunden: Eine klare Mehrheit von 67 Prozent der Umfrageteilnehmer befürwortet den Mindestlohn und verspricht sich von der Maßnahme mehr soziale Gerechtigkeit und Gleichbehandlung, die schon lange überfällig gewesen sei. Jedoch geben gleichzeitig nur 18 Prozent an, dass sie Personen beschäftigen würden, die nun 8,50 Euro erhalten – vor allem freie Mitarbeiter und Minijobber. Welche Firmen und Tätigkeitsbereiche sind denn jetzt tatsächlich von diesem Thema betroffen?

Tatsächlich betroffen sind eigentlich alle Branchen, in denen (zumindest für gewisse Tätigkeiten) Niedriglöhne gezahlt werden. Dies sollen laut Frau Nahles beispielsweise die Landwirtschaft, die Floristik, das Hotel- und Gaststättengewerbe, das Friseurhandwerk, die Taxi-Branche, die Callcenter und die Zeitungsverlage wegen ihrer Zusteller sein.

In manchen Branchen gibt es auch noch eine „Schonfrist“, sodass die in diesen Bereichen tätigen Betriebe den Mindestlohn zum 01.01.2015 noch nicht umsetzen mussten. In der Leiharbeit gelten bis Ende 2017 die auf der Grundlage des Arbeitnehmerentsendegesetzes (AentG) festgesetzten tariflichen Mindestlöhne sowie die nach Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) festgesetzte Lohnuntergrenze auch dann, wenn sie den Mindestlohn von 8,50 Euro unterschreiten. Allerdings müssen diese tariflichen Mindestlöhne bzw. Lohnuntergrenze ab dem 01.01.2017 an den Mindestlohn angepasst werden.

Eine weitere Ausnahme gilt für Zeitungszusteller: Hier wird der Mindestlohn stufenweise eingeführt. Ab dem 01.01.2015 erhalten Zusteller 75 Prozent (6,38 Euro) und ab dem 01.01.2016 85 Prozent (7,23 Euro) des Mindestlohns. Vom 01.01. bis zum 31.12.2017 können die Zeitungszusteller dann den bereits jetzt geltenden Mindestlohn von EUR 8,50 beanspruchen, der ihnen ab 01.01.2018 dann vollumfänglich gesetzlich zusteht.

icon_question_150pxMario Ohoven, Präsident des „Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft“ (BVMW) befürchtet durch den mit dem Mindestlohn-Gesetz einhergehenden Bürokratie-Aufwand (z.B. der Dokumentationspflicht) erhebliche Mehrkosten für kleine und mittelständische Unternehmen. Wie sehen die Vorgaben zur Dokumentation genau aus?

Nach § 17 Abs. 1 MiLoG sind Arbeitgeber, die geringfügige Beschäftigte (gleich in welcher Branche) beschäftigen oder die in Branchen gem. § 2a Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz tätig sind, verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit aufzuzeichnen.

Diese Aufzeichnung hat spätestens bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertages zu erfolgen. Zudem sind diese Aufzeichnungen zwei Jahre aufzubewahren.

Mehr ist gesetzlich nicht dazu geregelt. Der Arbeitgeber kann die Aufzeichnung daher auch seinen Arbeitnehmern überlassen, einer Unterschrift des Arbeitnehmers bedarf es nicht. Der Arbeitgeber könnte daher also Listen ausdrucken mit einer Tabelle, die sieben Zeilen für jeden Wochentag und drei Spalten für Beginn, Dauer und Ende der Arbeitszeit enthält. Jeder Arbeitnehmer braucht dann nur noch seinen Namen und Daten der konkreten Woche ergänzen. Die Aufzeichnung kann aber auch handschriftlich geführt werden.

Allein ein Dienstplan soll jedoch nicht genügen, wenn die geplante Arbeitszeit nicht mit der tatsächlich geleisteten übereinstimmt. Es ist daher zu raten, bei bereits im Voraus erstellten Dienstplänen eine weitere Spalte zu ergänzen, in der die tatsächlichen Abweichungen erfasst werden können.

Die Lage und die einzelne Dauer der Pausen müssen nach der gesetzlichen Regelung nicht explizit erfasst werden, es genügt, wenn die Gesamtpausenzeit bei der Dauer der Arbeitszeit berücksichtigt ist.

Die Dokumentationspflicht gem. § 17 Abs. 1 und 2 MiLoG gilt nach der (Mindestlohndokumentationspflichten-Verordnung nicht für Arbeitnehmer, die ein verstetigtes regelmäßiges Monatsentgelt von über EUR 2.958,- brutto erhalten. Weitere Voraussetzung ist aber, dass der Arbeitgeber bereits nach § 16 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz die von der werktäglichen Arbeitszeit abweichenden Arbeitszeiten aufzeichnet und diese Aufzeichnungen zwei Jahre aufbewahrt.

Diese Grenze wird vielfach als zu hoch kritisiert. Denn selbst unter Ausschöpfung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 60 Stunden pro Woche in einer 6-Tage-Woche, also einer Arbeitszeit von maximal 260 Stunden im Monat, ergibt sich lediglich ein Mindestlohn von EUR 2.210,- brutto. Die Grenze hätte daher also auch niedriger angesetzt werden können, doch wird es nach aktuellem Stand hier in naher Zukunft wohl vorerst keine Änderungen geben.

icon_question_150pxDie Befürchtung, der Mindestlohn würde sich als „Jobkiller“ entpuppen, ist entgegen vieler Unkenrufe bis dato nicht eingetreten. Dennoch wird sich der Mindestlohn mittelfristig in anderer Form auswirken: Spargelbauern beklagen beispielsweise die gestiegenen Lohnkosten von durchschnittlich 6,40 Euro pro Stunde auf 7,40 Euro in West- und 7,20 Euro in Ostdeutschland – und Konsumenten spüren das anhand gestiegener Lebensmittelpreise. Welche Regelungen gelten künftig für Saisonkräfte wie Spargelstecher und sind hier weitere Veränderungen in den nächsten Jahren geplant? (Anm. Laut eines Berichts in der Welt soll der Mindestlohn in der Landwirtschaft bis 2017 auf 9,10 Euro angehoben werden).

Saisonarbeitskräfte sind im Sinne des Mindestlohngesetzes „normale“ Arbeitnehmer, sie haben daher genauso Anspruch auf den Mindestlohn.

Allerdings darf gem. § 24 Abs. 1 MiLoG aufgrund von Branchentarifverträgen repräsentativer Tarifvertragsparteien eine Übergangsregelung geschaffen werden. Der Gesamtverband der deutschen land- und forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände und die Gewerkschaft IG BAU haben eine unterste Lohngruppe 1a vereinbart, die sich auf einfache Arbeiten bezieht, die weder eine Ausbildung noch eine Anlernzeit erfordert. Darunter fallen die klassischen landwirtschaftlichen Saisonarbeitnehmer. In dieser Lohngruppe wird der Bruttostundenlohn bis zum 1. Dezember 2017 schrittweise auf bundesweit einheitliche 8,50 Euro angehoben. Da tarifliche Abweichungen maximal 2 Jahre möglich sein sollen, wird die letzte Stufe von 8,50 Euro bereits zum 1. Januar 2017 erreicht. Für die Lohngruppe 1a gilt vom 1. November 2016 an bis zum 31. Dezember 2016 eine tarifliche Vergütung von 8,20 Euro. Danach gilt dann der Mindestlohn.

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Findige Arbeitgeber versuchen, die Mindestlohnregelung durch kleine Tricks zu umgehen, beispielsweise indem sie Urlaubsgeld und Sonderzahlungen auf den Mindestlohn anrechnen. Ist das zulässig? Gibt es überhaupt Ausnahmeregelungen für den Mindestlohn?

Es ist dringend davor zu warnen, „windigen“ Tricks von angeblich seriösen Beratern zu folgen, um den Mindestlohn zu umgehen. Der Verstoß gegen die Zahlung des Mindestlohns gilt als Ordnungswidrigkeit und kann mit bis zu EUR 500.000,- geahndet werden!

Der gesetzliche Mindestlohn solle unmittelbar die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers entgelten. Ein zusätzliches Urlaubsgeld sowie eine nach Dauer der Betriebszugehörigkeit gestaffelte Jahressonderzahlung darf daher nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden. Eine Änderungskündigung, mit der diese unzulässige Anrechnung erreicht werden soll, wäre somit auch unzulässig.

Im Übrigen ist es höchstrichterlich noch nicht geklärt, welche Zulagen und Zuwendungen konkret auf den Mindestlohn angerechnet werden können und welche nicht. Eine erste Hilfe bieten dazu aber die Informationen des Zoll, der die Einhaltung des Mindestlohns auch überwacht.

Demnach sind Zahlungen auf den Mindestlohn anzurechnen, die die „Normaltätigkeit“ des Arbeitnehmers abgelten. Zahlungen als Ausgleich für darüber hinaus gehende Leistungen sollen nicht anrechenbar sein, z. B. Überstundenzuschläge, Akkordprämien, Qualitätsprämien. Auch Zulagen, die voraussetzen, dass der Arbeitnehmer zu besonderen Zeiten arbeitet, sollen nicht anrechenbar sein, z. B. Sonn- und Feiertagszuschläge, Nachtzuschläge. Das soll auch gelten für Schmutzzulagen und Gefahrenzulagen, die Arbeiten unter besonders schweren, gefährlichen oder belastenden Bedingungen abgelten sollen.

Entgelten die Zulagen oder Zuschläge aber die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers, die auch mit dem Mindestlohn zu vergüten ist, so sollen sie anrechenbar seien („funktionale Gleichwertigkeit der zu vergleichenden Leistungen“).

Erfolgsbeteiligungen und umsatzabhängige Zulagen sind nur in dem Monat anrechenbar, in dem sie tatsächlich und unwiderruflich ausgezahlt werden. Ansonsten müsste die Beteiligung gezwölftelt und spätestens am Ende des Folgemonats unwiderruflich ausgezahlt werden, um auf den monatlichen Mindestlohn angerechnet werden zu können.

Umsatzbeteiligungen können voll auf den Mindestlohn angerechnet werden. Der Garantielohn und die Umsatzbeteiligung müssen zusammen nur mindestens EUR 8,50 pro Stunde ergeben.

Aufwandsentschädigungen sind im Übrigen nicht anrechenbar auf den Mindestlohn. Der Mindestlohn soll die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers vergüten. Kostenerstattungen des Arbeitgebers stellen aber keine Vergütung der Arbeitsleistung dar und sind somit nicht anrechenbar. Gleiches gilt für vermögenswirksame Leistungen, da sie Zusatzleistungen sind und nicht die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers vergüten.

 

Weitere Informationen: www.lehner-kollegen.de

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