Der 15. Mai ist der internationale Tag der Familie und für uns der Anlass für eine Bestandsaufnahme. Wie steht es um die Familienfreundlichkeit in deutschen Unternehmen? Lassen sich die Pflichten im Job und in der Familie tatsächlich immer besser vereinbaren und was machen unsere europäischen Nachbarn besser als wir?
Wie gut können die Arbeitnehmer in Deutschland Familie und Beruf vereinbaren? „Immer besser“, behaupten Politik und Wirtschaft und weisen auf die vielen individuell zugeschnittenen Angebote für Mütter und Väter hin. „Mehr Schein als Sein“, kontern die Arbeitnehmer und werfen Unternehmen vor, mit dem Stichwort „Familienfreundlichkeit“ lediglich ihr Image polieren zu wollen. Im Oktober 2013 hatte das Beratungsunternehmen A.T. Kearney gemeinsam mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und dem Institut für angewandte Sozialwissenschaft (infas) 1771 Arbeitnehmer gefragt, wie familienfreundlich ihre Arbeitgeber tatsächlich sind. Das Fazit: Dort, wo sich Firmen Familienfreundlichkeit auf die Fahnen schreiben, sähe die Realität oftmals ganz anders aus.
Imagepolitur oder hohes betriebliches Engagement?
Demnach haben fast drei Viertel der Befragten nicht das Gefühl, dass in ihrem Unternehmen viel für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie getan werde. Jeder Dritte befürchte sogar Karrierenachteile, wenn er familienfreundliche Leistungen in seinem Unternehmen in Anspruch nimmt. Und kündigt sich Nachwuchs an, erweisen sich für Frauen Teilzeitmodelle und Erwerbsunterbrechungen noch immer häufig als „Mommy-Track“ – das tote Karrieregleis.
Fast schon gegenteilig lauten die Ergebnisse des „Unternehmensmonitors Familienfreundlichkeit 2013“, der bereits zum vierten Mal durch das Bundesfamilienministerium durchgeführt wurde. Vier von fünf Unternehmen messen dem Report zufolge dem Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine gleichbleibend hohe Bedeutung zu. Insgesamt stabilisiere sich das betriebliche Engagement in Deutschland auf hohem Niveau. Von variablen Arbeitszeitmodellen mit individuell ausgehandelten Arbeitszeiten, von Vertrauensarbeitszeiten oder vermehrten Familienpflegezeitmodellen ist da die Rede. „Ich freue mich, dass das Thema Familienfreundlichkeit in vielen Unternehmen mittlerweile fest verankert ist“, kommentiert Lutz Stroppe, Staatssekretär im Bundesfamilienministerium, die Ergebnisse. „Die Arbeitgeber wissen: Ohne Angebote zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wird es schwierig, junge Fachkräfte für den Betrieb zu gewinnen und zu halten.“
Familienfreundlichkeit ist für alle wichtig
Eine Erkenntnis, die beinahe alle Studien teilen. Für Arbeitnehmer ist Familienfreundlichkeit zu einem entscheidenden Kriterium bei der Wahl des Arbeitgebers geworden. Vor allem Hochqualifizierte sind nicht länger bereit, die Familie zugunsten der Karriere hinten anzustellen. Im Kausalzusammenhang müssen familienfreundliche Angebote auch in den Augen der Arbeitgeber an Stellenwert gewinnen, wollen sie fähige und motivierte Mitarbeiter gewinnen und im Unternehmen halten. Und auch für unser Land ist diese neue Unternehmenskultur wichtig, wenn wir im internationalen Wettbewerb bestehen wollen.
Schweden, Holländer und Dänen sind uns voraus
Denn die Nachbarn machen es uns vor: So berichtet die freie Journalistin Marike Frick in DIE ZEIT von der IT-Chefin einer großen dänischen Bank, die ganz selbstverständlich jeden Tag um 14:30 Uhr nach Hause zu ihren vier (!) Kindern geht. Oder vom wöchentlichen „Papa-dag“ in den Niederlanden, der möglich ist, weil jeder Arbeitnehmer das Recht auf eine sechsmonatige Familienauszeit hat und sich diese flexibel – eben auch mit einem Tag pro Woche einteilen kann. Oder von einem Bekannten, der nach Schweden gezogen ist, weil es dort unter den Firmen einen Wettbewerb gibt, wer seinen Angestellten das familienfreundlichste Umfeld bietet. Vergünstigte Putzhilfen, Babysitterdienste, Elterngeld in Höhe von 100 Prozent nennt sie als Beispiele.
Aber in Deutschland gibt es vergleichbare Modelle: Betriebskitas, individuell angepasste Arbeitszeiten, Freistellungen für pflegebedürftige Angehörige. Warum also sind deutsche Arbeitnehmer mit der Familienfreundlichkeit der hiesigen Unternehmen nicht annähernd so zufrieden wie die Kollegen in Schweden, Dänemark oder den Niederlanden? Die A. T. Kearny-Studie führt einen interessanten Aspekt ins Feld: „Unternehmen in Deutschland unterschätzen ihre Rolle in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung zur Zukunft der Institution Familie. Über alle Lippenbekenntnisse hinaus müssen Angebote zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie in Unternehmen selbstverständlich werden.“
Familienfreundlichkeit als Selbstverständlichkeit
Der Unterschied liegt also in unserer Einstellung zu einer familienfreundlichen Unternehmenskultur – sowohl in der Einstellung jedes Einzelnen als auch in der des Unternehmens als Gesamtheit. Während in anderen Ländern das Anhäufen von Überstunden in den Augen der Familienväter geradezu verpönt ist, gilt es in deutschen Köpfen insgeheim noch immer als Gradmesser für Engagement und Produktivität. Während anderorts Führungspositionen in Teilzeit durchaus nicht ungewöhnlich sind, widersprechen solche Modelle unserer deutschen Vollzeitmentalität. Die Selbstverständlichkeit, mit der Schweden, Dänen oder Holländer familiäre Verpflichtungen den beruflichen gleichsetzen, fehlt uns Deutschen noch. Der Wunsch danach ist groß. Die Angebote, um diesen Wunsch zu realisieren, nehmen zu. Jetzt bedarf es noch des Umdenkens von Unternehmen und Gesellschaft. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, ein ausgeglichenes Privat- und Arbeitsleben müssen zu selbstverständlichen Unternehmenszielen werden. Management und Führungskräfte dürfen dabei ihre Vorbildfunktion nicht verkennen. Nur wer als Vorgesetzter die oben genannte Selbstverständlichkeit vorlebt, gibt den Mitarbeitern das Vertrauen und die Gewissheit, dass familienfreundliche Maßnahmen mehr sind als schöner Schein.
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Quellen: http://www.zeit.de/2014/08/vereinbarkeit-familie-beruf-deutschland-skandinavien
http://atkearney361grad.de//wp-content/uploads/2012/09/Familienstudie.pdf
http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/familie,did=199428.html
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