Veröffentlicht von CareerBuilder Germany am 08 Oktober 2019
Themen: Mitarbeiterführung - Recruiting-Tipps - Vorstellungsgespräche | Keine Kommentare

overqualified_march2016_843x474_221213140.jpgImmer wieder bewerben sich Kandidaten auf Stellen, für die sie eigentlich überqualifiziert sind. Warum Arbeitgeber diesen aber nicht voreilig absagen und stattdessen besser zwei Mal hinschauen sollten, erklärt hier der Kölner Karriere-Coach und Führungskräfte-Trainer Dr. Bernd Slaghuis.

„Warum sollten wir einen überqualifizierten Bewerber einstellen? Ist die Gefahr nicht viel zu groß, dass er oder sie schnell frustriert ist und das Unternehmen sofort wieder verlässt?“ Diese und die folgenden Gedanken gehen Personalentscheidern durch den Kopf, wenn sie die Unterlagen eines überqualifizierten Bewerbers in Händen halten:

  • Der Bewerber ist schon so verzweifelt, dass er bereit ist, jeden Job zu machen.
  • Der Bewerber kündigt, sobald er eine seinen Fähigkeiten entsprechende Stelle bekommt.
  • Der Bewerber hat sich mit der Stelle nicht auseinandergesetzt.
  • Der Bewerber wird sich auf der Stelle langweilen und unzufrieden werden.
  • Der Bewerber passt mit seinen Erfahrungen und Fähigkeiten nicht ins Team.
  • Der Bewerber wird sofort am Stuhl des Vorgesetzten sägen.

Grundsätzlich sind diese Befürchtungen auf den ersten Blick berechtigt. Insbesondere dann, wenn aus der Bewerbung nicht die Motive und Ziele des Bewerbers hervorgehen. Die Neubesetzung einer Stelle ist für jedes Unternehmen mit einem hohen Kosten- und Zeitaufwand verbunden und während der Vakanz werden entweder die mit der Stelle verbundenen Themen nicht fortgeführt oder müssen durch andere Mitarbeiter mitgeleistet werden. Ziel ist es daher, einen Bewerber und künftigen Mitarbeiter über die Einarbeitungszeit hinaus zu binden und mittelfristig innerhalb des Unternehmens weiterzuentwickeln.

Warum bewerben sich Überqualifizierte?

Um die Motive eines für eine Stelle überqualifizierten Bewerbers zu verstehen, sollten Arbeitgeber genauer hinschauen und vor allem das persönliche Gespräch nutzen, um mehr über die Hintergründe und Ziele der Bewerbung zu erfahren.

Hier lassen sich drei grundsätzliche Bewerber-Typen unterscheiden:

  • „Der Tiefstapler“: Dem Bewerber ist seine Überqualifizierung für diese Stelle nicht bewusst. Er unterschätzt seine Erfahrungen und Fähigkeiten.
  • „Der Downshifter“: Der Bewerber kennt seine Qualifikation und bewirbt sich aus einer bewusst getroffenen Entscheidung heraus für diese Position.
  • „Der Unwissende“: Der Bewerber interpretiert die Stellenausschreibung falsch. Er bewertet die Anforderungen und Aufgaben höher als sie tatsächlich sind.

Der Tiefstapler

Häufig und insbesondere nach längerer Zeit der Stellensuche geht Bewerbern ihr Bewusstsein für ihren tatsächlichen Wert sowie für ihre bisher erworbenen Fähigkeiten und vorhandenen Ressourcen verloren. Viele Absagen kratzen wortwörtlich am Selbstbewusstsein. Die Folge: die eigenen Ansprüche werden heruntergeschraubt, in der Hierarchiestruktur niedrigere oder weniger anspruchsvolle Stellen rücken stärker in den Fokus des Bewerbers. Dieser unbewusst überqualifizierte Bewerber wird sich wahrscheinlich auf Dauer auf der zu besetzenden Position langweilen, denn eigentlich kann er viel mehr.

Doch auch diese Bewerber sind für ein Unternehmen interessant, denn sie verfügen meist über ein hohes Know-how und bieten großes Entwicklungspotenzial. Die ausgeschriebene Stelle kann als Einstieg und Sprungbrett in eine weiterführende Position im Unternehmen dienen.

Der Downshifter

Dieser Bewerber-Typus weiß, was er will. Ihm ist seine Überqualifizierung bewusst. Er hat in seiner beruflichen Laufbahn viele Erfahrungen gesammelt und einen Prozess der Selbstreflexion hinter sich. Er kennt seine Werte und Ziele im Leben und im Beruf und entscheidet sich bewusst dafür, im Job kürzer zu treten. Vielleicht, weil er mehr Zeit mit seiner Familie verbringen möchte und hierfür auf den nächsten Schritt auf der Karriereleiter und mehr Geld verzichtet. Vielleicht auch, weil ihm andere Werte als Macht, Status und Geld im Beruf und im Leben wichtig sind.

Der Downshifter wird die Anforderungen an die vakante Stelle höchstwahrscheinlich mit Bravour meistern und sich schnell gewinnbringend einsetzen. Problematisch kann die Integration in ein bestehendes Team sein. Denn die Kollegen werden schnell bemerken, dass der oder die „Neue“ infolge seiner vorherigen Erfahrungen anders denkt und handelt. Hier zählt Klarheit in der Kommunikation über die Hintergründe der Einstellung sowie die gezielte weitere Wertschätzung der Leistungen des gesamten Teams, so dass sich aus der alten Mannschaft niemand zurückgesetzt fühlt.

Downshifter bringen eine hohe intrinsische Motivation für ihre neue Tätigkeit mit und können innerhalb eines bestehenden Teams zusätzlich zur disziplinarischen Führungskraft eine Vorbildfunktion gegenüber den Kollegen einnehmen.

Der Unwissende

Schwieriger gestaltet sich die Situation bei dem „Unwissenden“. Kennt er seine eigene, hohe Qualifikation, wird die Stelle voraussichtlich für ihn uninteressant, sobald ihm die genauen Aufgaben und Anforderungen an die Position bekannt werden. Ihm wird bewusst, dass er hierfür zu gut ist und dies vielleicht sogar einen Rückschritt in seiner Karriere bedeuten würde. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass er nach dem Vorstellungsgespräch von sich aus abspringt.

Sind ihm zum Zeitpunkt der Bewerbung sowohl seine Qualifikation als auch die tatsächlichen Stelleninhalte nicht bewusst, ist das Risiko sehr hoch, dass er schnell bemerken wird, unterfordert zu sein und sich in dieser Position langweilt. Dennoch bieten auch diese „unwissend Überqualifizierten“ ein hohes Potenzial – nur nicht für die ausgeschriebene Stelle.

Als Arbeitgeber sollten Sie sich daher überlegen, ob dieser Bewerber zu einer anderen Position im Unternehmen passt. Klären Sie den Bewerber über die Anforderungen und Inhalte der Stelle auf, auf die er sich beworben hat und teilen Sie ihm ihre Einschätzung mit. Besprechen Sie mit ihm alternative Einsatzmöglichkeiten, sofern Sie diese in Ihrem Unternehmen sehen.

Motive verstehen und Chancen ausloten

Jeder Bewerber, den Sie als Arbeitgeber als überqualifiziert für eine Stelle beurteilen, bringt per Definition ein höheres fachliches Know-how oder mehr Erfahrungen mit als die vakante Position erfordert. Häufig verbergen sich hinter diesen Bewerbungen entweder ungeschliffene Diamanten oder selbstbestimmt handelnde Menschen, die genau diesen Schritt suchen.

Legen Sie diese Bewerbung daher nicht sofort als „nicht passend“ zur Seite, sondern wechseln Sie die Perspektive und prüfen Sie, welche Motivation sich aus der Sicht des Bewerbers dahinter verbirgt.

Dr. Bernd Slaghuis ist Karriere-Coach und Experte für berufliche Neuorientierung. In seinen Coachings appelliert der Systemische Coach und Ökonom an die Selbstverantwortung jedes Einzelnen für sein Leben. Er betreibt eine Coaching-Praxis in Köln und ist als Strategieberater und Führungskräfte-Trainer für Unternehmen in ganz Deutschland tätig. Über aktuelle Themen aus den Bereichen Führung, Karriere und Persönlichkeitsentwicklung schreibt er in seinem Blog Perspektivwechsel.

 Bildquelle: © Prasit Rodphan - Shutterstock.com  

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