In Deutschland gibt es immer mehr junge Vorgesetzte – in den Vorstandsriegen genauso wie im mittleren Management. Dass diese Führungspositionen alles andere als bequem sind, wird vielen erst bewusst, wenn sie im Chefsessel Platz nehmen…
Eine aktuelle Studie der Haniel-Gruppe prognostiziert einen Generationswechsel in deutschen Vorstandsetagen, die zunehmend von jungen Führungskräften erobert werden. Demnach liegt der Anteil sogenannter Young CxOs in den Vorständen der DAX30 Unternehmen bereits bei 23 Prozent. In den börsennotierten Schweizer Unternehmen sind es 24 Prozent und in Österreich sogar fast ein Drittel (31 Prozent). Als Young CxOs gelten in der Regel Vorstandsmitglieder unter 50 Jahren, die spätestens mit dem 44. Lebensjahr in die oberste Führungsriege aufgestiegen sind. Experten begrüßen diese Entwicklung. „Ein wichtiges Ziel nachhaltiger strategischer Personalplanung ist in Zukunft sicherlich, die richtige Balance zu finden zwischen nötiger Erfahrung und frischem Blut sowie mit Blick auf das Thema Diversity, die richtige Mischung aus fachlicher Kompetenz und kultureller Impulse herzustellen“, sagt Peter Sticksel, Personalchef von Haniel.
Argwohn gegenüber jungen Chefs
Nicht nur im Vorstand, auch auf den Ebenen darunter werden Führungskräfte zunehmend jünger. Von ihnen verspricht man sich frischen Wind und neue Ideen, einen gesunden Pragmatismus bei Problemlösungen und die Fähigkeit zu motivieren und zu begeistern. Doch wenn die Anzahl der Dienstjahre auf der Karriereleiter keinen Vorsprung mehr verspricht, birgt das auch Konfliktpotenzial. Vor allem ältere Kollegen zeigen sich wenig kooperativ, wenn sie von jungen High Potentials überrundet und nun von ihnen angeleitet werden. Doch mit Neid und Missgunst muss die neue Führungskraft immer rechnen, wenn sie im Wettbewerb um den Posten bis dato gleichrangige Kollegen hinter sich lässt. Das kann dann schnell zu einer negativen Gruppendynamik und zu einem Leistungsabfall im Team führen.
Führung - ein Balance-Akt
Eine zusätzliche Belastung ist die Sandwich-Position, in der sich junge Chefs im mittleren Management häufig befinden. Nach unten müssen sie das Team auf ihren Kurs einschwören und nach oben wollen sie ihre Vorgesetzten von den eigenen Ideen überzeugen. Loyalität erwarten sowohl Chef als auch Untergebene von der jungen Führungskraft. Ein Balance-Akt, der mitunter sehr kräftezehrend sein kann. Denn es sind selten fachliche Probleme, mit denen der Führungsnachwuchs zu kämpfen hat, sondern die zwischenmenschlichen. „Chefs haben das Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu den früheren Kollegen, Angst vor der Distanz und vor schlechten Beziehungen“, meint Karriereberaterin und Buchautorin Christine Öttl in einem Artikel in Welt Online. Doch diese Distanz ist notwendig und unvermeidlich, wenn man andere Menschen führen will. „Die Distanz zu den früheren Kollegen wird größer“, sagt der Psychologe und Managementtrainer Albrecht Müllerschön. „Sie werden folgerichtig auch vorsichtiger im Umgang mit dir, denn sie wissen, du hast die Macht – und wirst sie auch ausüben.“ Von kumpelhaftem Verhalten rät er ab.
Akzeptieren, dass man in der Schusslinie steht
Egal, wie sehr sich ein junger Chef bemüht – mit dem neuen Titel bietet er automatisch mehr Angriffsfläche für Kritik und ist in dieser Hinsicht Freiwild für seine Untergebenen. Denn dass man sich über den Vorgesetzten aufregen darf, gehört schließlich zu den Grundrechten eines jeden Angestellten. „Wer an der Spitze steht, ist einsam“, vermittelt Müllerschön in seinen Seminaren. „Akzeptiere, dass Mitarbeiter hinter deinem Rücken über dich reden.“ Viel hängt davon ab, wie man als Chef mit dieser Kritik umgeht. Sie zu ignorieren und Probleme auszusitzen, wäre genauso falsch, wie mit unerbittlicher Härte gegen die Kritiker vorzugehen. In solchen Situationen zeigt sich Führungskompetenz. Dann ist Fingerspitzengefühl gefragt, um die eigene Position zu stärken und das Team motiviert und leistungsfähig zu halten. Selbstvertrauen in die eigenen Stärken und eine klare Position gegenüber den Mitarbeitern ist dabei genauso wichtig, wie die Fähigkeit, Situationen zu reflektieren und das eigene Verhalten zu hinterfragen. Wodurch entsteht die Kritik? Was hat den Kollegen so verärgert?
Wertschätzung für erfahrene Kollegen
Meist lässt sich die Eigendynamik von Lästereien und kritischen Äußerungen durch ein Vier-Augen-Gespräch mit dem Initiator stoppen. Generell gilt: Wer als Chef Gesprächsbereitschaft signalisiert, hat immer die Möglichkeit, die Wahrnehmung seiner Person bei den Mitarbeitern zu beeinflussen. Das heißt nicht, dass man als Chef für alles und jeden Verständnis haben muss. Im Gegenteil: Von einer Führungskraft erwartet man, dass sie auch unpopuläre Entscheidungen trifft und durchsetzt, wenn sie es für notwendig erachtet. Aber um ältere Mitarbeiter, die sensibel auf Veränderungen von gewachsenen Strukturen reagieren, nicht gegen sich aufzubringen, müssen junge Vorgesetzte den Dialog suchen und erfahrene Kollegen bewusst in die Prozesse einbeziehen. Wertschätzung und Respekt beruhen dann schnell auf Gegenseitigkeit.
Grundlagen der Führung lassen sich lernen
Wichtig ist, dass man führen will und sich bewusst ist, welche Erwartungen andere und man selbst an sich in dieser Position stellt. Alle anderen Grundlagen der Führung lassen sich erlernen – in Seminaren und Coachings. Müllerschön hält das für sinnvoll. Wie stelle ich mich meinen neuen Kollegen gegenüber dar? Wie führe ich schwierige Mitarbeitergespräche? Wie arbeite ich mit meinem Team produktiv? Wie delegiere ich richtig? Was ist für mich der richtige Führungsstil? Wie motiviere ich meine Mitarbeiter? Wie werden Mitarbeitergespräche erfolgreich geführt? Wie gestalte ich eine Teambesprechung? Wie werden Konflikte bewältigt? Wer diese und andere Grundlagen beherrscht, wird seine Führungsrolle souverän ausführen können.
Bildquelle: © pressmaster - Fotolia.com
Hinterlassen Sie einen Kommentar