Für den Fachkräftemangel bedeutet diese stereotypische Berufswahl eine zusätzliche Verknappung. Deshalb sind Aufklärungskampagnen wie der Girls‘-Boys‘-Day wichtig und notwendig. Aber Schnuppertage allein reichen nicht aus, um das Schubladendenken in unserer Gesellschaft aufzulösen. Egal ob Azubi, Berufseinsteiger oder Führungskraft - Arbeitgeber tun gut daran, die kulturelle Vielfalt im Unternehmen zu fördern, um eine große Bandbreite an Potenzialen und Fähigkeiten nutzen und sich optimal weiterentwickeln zu können. Das geht natürlich weit über die Genderthematik hinaus. Aber bei der Besetzung bis dato klassischer Männerpositionen bewusst auch Frauen anzusprechen und umgekehrt ist immerhin ein erster Schritt.
Das Paradoxe: Um Vorurteile bei der Stellenbesetzung zu vermeiden, müssen sich Personaler gerade dieser bedienen. Denn bei aller Gleichstellung und -berechtigung – Männer und Frauen haben stereotype Annahmen über sich selbst. Während sich männliche Bewerber als energischer, durchsetzungsfähiger und entscheidungsfreudiger bewerten, sehen sich Bewerberinnen selbst als verantwortungsbewusster, emotionaler oder kommunikativer. „Dies hat auch Auswirkungen darauf, was Männer und Frauen bei einer Position suchen und wovon sie sich in Stellenanzeigen angesprochen fühlen“, erklärt Dipl. Psych. Tanja Hentschel in einem Interview mit womanandwork.de
Während die Formulierung der Stellenanzeige auf die Bewerbungsabsicht von Männern kaum Einfluss hat, empfinden Frauen laut Hentschel Stellen passgenauer, die mit kommunalen Begriffen wie kommunikationsfreudig, team-orientiert, verantwortungsbewusst beschrieben werden. Männlich konnotierte Wörter wie durchsetzungsstark, zielstrebig, offensiv oder auch analytisch verunsichern Frauen eher. Personaler, die in Stellenbeschreibungen eine diversity-freundliche Sprache benutzen, sprechen somit einen größeren Bewerberkreis an.
Auch der Aufbau eines Jobinserates und das Anforderungsprofil werden von Frauen und Männern auf unterschiedliche Weise wahrgenommen. Bewerberinnen konzentrieren sich vor allem auf die geforderten Qualifikationen. Männer hingegen widmen sich länger dem Unternehmensprofil und lassen sich im Gegensatz zu Frauen von einem langen Anforderungsprofil nicht unbedingt abschrecken. Sie haben weniger Hemmungen sich zu bewerben, auch wenn sie nicht alle Kriterien erfüllen können. Überzogene Ansprüche vermeiden, das Unternehmen aussagekräftig aber authentisch darstellen und deutlich machen, welche Qualifikationen notwendig bzw. optional sind – das ist der richtige Weg, um keinen Bewerberkreis zu verprellen.
Henner Knabenreich, Blogger und Berater für digitales Personalmarketing gibt in diesem Zusammenhang einen ungewöhnlichen Denkanstoß: „Was spräche beispielsweise gegen Stellenanzeigen, die sowohl für Frauen als auch für Männer gestaltet werden?“ Quasi eine Stellenanzeige in zwei Versionen – mit jeweils passender Text- und Bildsprache. Kompliziert wird es aber, sobald man auch das dritte Geschlecht in diese Überlegungen einbezieht. Einfacher ist es, auf geschlechtsneutrale Formulierungen (Lernende, Studierende, Kaufleute etc.) und eine diversity-freundliche Bildsprache zu achten – sowohl im Inserat als auch auf der Karriereseite. Statt der inflationären Verwendung des AGG-konformen Zusatzes (m/w/d) im Recruiting, plädiert Knabenreich für das Erklär-Sternchen als simple Lösung: „*Geschlecht (Religion, Alter, …) egal, Hauptsache, Du passt zu uns.“
Bevor Personaler aber in Recruiting-Maßnahmen investieren, die vermeiden, dass sich Bewerber aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft, ihres Alters oder anderer persönlicher Gründe nicht angesprochen fühlen, steht die eigene Unternehmenskultur auf dem Prüfstand. Denn die Grundvoraussetzung für eine authentische Bewerberansprache ist, dass Diversität im Unternehmen gelebt wird – ohne Vorurteile und Gender Bias. Kulturelle Vielfalt in Teams, Arbeitsgruppe und vor allem auf der Führungsebene, familienfreundliche Arbeitsbedingungen, die nicht nur von Müttern in Anspruch genommen werden, betriebliche Benefits, die verschiedene Interessen abdecken – so gelingt es Unternehmen ein größtmögliches Bewerberpublikum zu erreichen und zu überzeugen.
Quellen:
https://www.jobcloud.ch/c/de-ch/blog/2018/03/gender-diversity-im-recruiting/
https://womenandworkblog.wordpress.com; https://www.haufe.de/personal/hr-management/schluss-mit-dem-genderwahnsinn-im-recruiting_80_456226.html; www.klischee-frei.de; https://personalmarketing2null.de/2016/10/agg-geburtstag-personalmarketing/
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