Ein Apfel hier und ein Antistressseminar dort reichen nicht aus, um die Mitarbeitergesundheit nachhaltig zu steigern. Neben einem strategischen betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM), der Akzeptanz der eigenen Vorbildfunktion und dem Bewusstsein, dass Wohlbefinden vor Erfolg steht, müssen Führungskräfte lernen, die Verantwortung für das eigene Wohlergehen wieder an ihre Mitarbeiter zurückzugeben.
Investitionen in die Mitarbeitergesundheit sind ein bisschen vergleichbar mit Investitionen in erneuerbare Energien. Denn würden Unternehmen mit der Forderung nach immer höherer Leistungsbereitschaft ihre Mitarbeiter schlichtweg verheizen, hätten sie ziemlich schnell ein Problem mit dem Nachschub. Aufgrund des demografischen Wandels in unserem Land müssen Arbeitnehmer heute länger volle Leistung im Job bringen. Es liegt also im Interesse des Unternehmens, gesunde und motivierte Mitarbeiter zu beschäftigen, die sich mit ihrer Arbeit wohlfühlen. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt? Zumindest sind wir in Deutschland auf einem guten Weg. Aktuelle Studien, zum Beispiel von der AOK oder dem Beratungsunternehmen Gallup, belegen erstmals seit Jahren einen Rückgang der Burnouts und inneren Kündigungen.
Trotzdem fällt noch allzu häufig im Unternehmensalltag das Engagement für den Faktor Mensch dem Tagesgeschäft zum Opfer. Dr. Ilona Bürgel, Diplom-Psychologin und Expertin für den Wirtschaftsfaktor Wohlbefinden, ist als Referentin und Autorin tätig und weiß, wie der Spagat aus Lust auf Leistung und Erhalt der eigenen Ressourcen in der neuen Arbeitswelt gelingt. In Unternehmen vermittelt sie den Menschen eine neue Denkkultur durch Wissen, Erfahrungen und sofort umsetzbare Tipps wie diese:
So laufen Sie nicht Gefahr, das Thema aus den Augen zu verlieren. Auch wenn Sie nicht jeden Tag ein To-Do im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements auf der Agenda haben, so sind Sie doch sensibilisiert für das Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter. „Gerade weil die Ansprüche unserer Arbeitswelt an Leistungsfähigkeit und –bereitschaft immer weiter steigen werden, müssen Führungskräfte ein Gesundheitsbewusstsein entwickeln. Denn es ist immer leichter und im Übrigen auch kostengünstiger, Gesundheit zu erhalten und zu verbessern, als Schaden zu beheben.“
Auch im absoluten Traumjob leidet die Performance, wenn das Wohlbefinden aufgrund zu hoher Belastungen auf der Strecke bleibt. „Anstrengungen und Disziplin sind gute und erfolgreiche deutsche Tugenden, doch sie bringen uns allein nicht mehr weiter“, weiß Ilona Bürgel. Wohlbefinden und Genussfähigkeit sind ihrer Meinung nach die Antworten auf die Produktivitätserwartungen der Zukunft. „Weil ein Mensch, dem es gut geht, mehr leistet als ein Mensch, der seinen Lieblingsjob macht. Und weil die Fähigkeit, sich an dem zu erfreuen, was schon vorhanden ist, in schwierigen Zeiten die Motivation sichert.“
Führungskräfte können die Menschen im Unternehmen zu mehr Eigenverantwortung, mehr Wohlbefinden und damit zu mehr Leistung befähigen. Denn Mitarbeiter sollen wieder verinnerlichen, dass sie selbst für ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden verantwortlich sind. Allzu gerne wird der Schwarze Peter anderen zugeschoben. „Doch ‚die Arbeit‘, ‚der Chef‘ oder ‚die Kunden‘ können uns nicht stressen“, so Bürgel. Es sei vielmehr die Art, wie Mitarbeiter auf neue Anforderungen der Arbeitswelt oder zu wenig Anerkennung reagieren. „Sie haben es verlernt, selbst gut für sich zu sorgen“, sagt die Expertin. „Die eigenen Stärken zu kennen und zu leben; aktiv im Job zu sein, statt abzuwarten, dass der Chef motiviert; selbst zuerst zu grüßen, statt die Versäumnisse der anderen zu beobachten und vor allem wertzuschätzen, wie gut unsere Arbeits- und Lebensbedingungen sind, führt zu Wohlbefinden, Selbstmotivation und Spitzenleistungen.“
Gesunde Führung hat eine Vorbildfunktion. Denn Führungskräfte, die selbst auf ihre Gesundheit achten, haben eine positive Wirkung auf die Mitarbeitergesundheit. Außerdem können sie durch ihr Verhalten Arbeitsabläufe und die Zusammenarbeit im Team nachhaltig beeinflussen. „Menschen, die selbst nicht leben, was sie empfehlen, verspielen ihre Glaubwürdigkeit. Wenn Geschäftsführer darum ringen, dass Mitarbeiter angemessene Mittagspausen einhalten, dies selbst aber nicht tun, kann das dem ganzen Unternehmen schaden.“
„Gut gemeint ist nicht unbedingt gut gemacht“, weiß Ilona Bürgel. Die gute Absicht vieler Unternehmen, etwas für die Mitarbeiter tun zu wollen, führe oft zu Aktionismus. „Ein Antistressseminar hier, ein Apfel dort, ein Jahr mit Aktionen, eines ohne. Mitarbeiter spüren genau, ob es der Arbeitgeber ernst meint und sich die Unternehmenskultur ändert.“ Sie empfiehlt daher strategisch vorzugehen. „Beginnen Sie mit einer Bedarfsanalyse, damit Sie das Richtige für die Richtigen tun. Dem Bedarf folgt eine Zielformulierung, denn es ist ein Unterschied, ob Sie das Engagement der Mitarbeiter steigern oder den Krankenstand senken wollen. Das Ziel bestimmt danach die Maßnahmen.“
Gerade bei Ausschreibungen ist der Preis häufig das entscheidende Kriterium für die Auftragsvergabe. „Das kann auf Kosten der Qualität der Gesundheitsmaßnahme gehen, denn der billigste Anbieter muss nicht der am besten zum Haus passende sein.“ Auch kostenlose Leistungen, zum Beispiel im Rahmen von Gesundheitstagen der Krankenkassen werden laut der Expertin von Unternehmen gern in Anspruch genommen. „Doch wie auch sonst überall in der Wirtschaft bekommt man, was man bezahlt - in diesem Fall meist standardisierte Basisleistungen, bei denen die Qualität schwanken kann und persönliches Engagement des Anbieters nicht immer inbegriffen ist. Das überträgt sich auf die Belegschaft.“
„Egal ob die Unternehmensführung eine ‚Erfahrungsschicht‘ am Band absolviert, der Betriebsrat schon bei den ersten Überlegungen zum Gesundheitsmanagement einbezogen wird, Führungskräfte die Schirmherrschaft über eine Aktion übernehmen oder Mitarbeiter aus allen Verbesserungsvorschlägen selbst die Favoriten auswählen. Gemeinsamkeit ist eine Zauberformel, die Zeit, Geld und Ärger spart.“ Ilona Bürgel rät daher, von Beginn an alle Beteiligten in Planung und Umsetzung einzubinden. „Verteilen Sie Aufgaben, suchen Sie Partner in den Teams. So verteilt sich nicht nur die Arbeit von ohnehin zu wenigen Schultern in HR und Gesundheitsmanagement, auch das Engagement wächst.“
Weitere Informationen unter http://www.ilonabuergel.de/