Es tut sich was im Sozial- und Gesundheitswesen, was vor einigen Jahren noch als Zukunftsmusik galt: Personalmarketing-Kampagnen buhlen mit offensiven Slogans wie „Hier bin ich wer!“ um den Bewerber. Karriere-Onepager wie pflege-jobs.hamburg oder pflegetalente.com gehen online. Videointerviews mit Mitarbeitern werden bei Facebook gepostet. Die Erkenntnis, dass traditionelle Methoden der Personalgewinnung nicht länger fruchten, dass man etwas Neues probieren muss, hat sich herumgesprochen. Doch immer noch setzen die Unternehmen der Branche bei ihren Bemühungen um den Bewerber zu sehr auf die reine Vermittlung von Informationen – anstatt wirklich in den Dialog zu gehen.
Immerhin, die Ansprechhaltung in Stellenanzeigen oder Karriererubriken ist lockerer und emotionaler geworden, Alleinstellungsmerkmale werden herausgearbeitet und Employer Branding-Strategien gestrickt – doch letztendlich bleibt es bei der absenderorientierten Kommunikation. Bewerber werden halt nicht mehr nur mit Plakaten und Flyern, sondern auch mit Bannern und Filmen überschüttet, die ihnen nahebringen sollen, was für ein spannendes Arbeitsfeld die Sozial- und Pflegeberufe sind. Facebook wird in seiner Kernfunktion als „soziales Netzwerk“ verkannt und eher als Nachrichtenkanal verstanden, über den man zweimal die Woche mehr oder weniger berichtenswerte Meldungen aus der Personalabteilung absetzten kann.
Dabei ist es doch nun wirklich schon eine Weile her, seit im Jahr 2003 das „Web 2.0“ ausgerufen wurde, das Mitmach-Internet. In dem der Nutzer nicht mehr nur liest, schaut, sich informiert oder konsumiert, sondern mitdiskutiert, sich engagiert, mit Marken und Unternehmen in die direkte Auseinandersetzung geht und dadurch nicht zuletzt eine ganz neue (Markt-)Macht bekommt. Und genau das ist der längst überfällige nächste Schritt, den das Recruiting im Sozial- und Gesundheitswesen nun braucht.
Es geht nicht nur darum, digitale Kanäle irgendwie zu bespielen, sondern darum, ihr Potenzial wirklich auszuschöpfen. Einfach nur eine Stellenanzeige als nette Grafik bei Facebook zu posten, reicht nicht. Selbst wer wöchentlich ein Mitarbeiter-Video hochladen würde, was ja schon sehr fortschrittlich wäre, würde damit immer noch keine Bewerbermassen versammeln. Zeitgemäße Bewerberkommunikation setzt da ein, wo digitale Kanäle dazu genutzt werden, in einen echten Dialog zu gehen: Berufsberatung per WhatsApp oder Snapchat. Active Sourcing und Direktansprache bei XING oder LinkedIn. Mobile Bewerbung vom Smartphone aus, die im Kennenlerngespräch per Skype mündet.
Und warum ist das mit dem Dialog so schwer? Weil verschiedene gebetsmühlenartig wiederholte Vorbehalte gegen die digitalen Recruiting-Kanäle im Hinterkopf vieler Personaler im Sozial- und Gesundheitswesen umherschwirren, die dazu führen, dass die Skepsis nie wirklich abgelegt wurde. Doch diese Vorbehalte lassen sich leicht entkräften:
Stimmt nicht – auch wenn Pflegedienstleitungen gerne das Beispiel von der Hauswirtschaftskraft mittleren Alters bemühen, die weder eine E-Mail-Adresse, noch ein Handy besitzt. Die mag es wohl hier und dort noch geben, aber der Trend spricht eine andere Sprache: Mit der viel zitierten Generation Y, die zum Jahrtausendwechsel im Teenageralter war und jetzt auch schon um die dreißig ist, wachsen die digitalen Gewohnheiten auch in berufserfahrene Positionen hinein. Und so ist es überhaupt nicht verwunderlich, dass XING und LinkedIn 2017 wesentlich mehr Sozial- und Pflegefachkräfte in ihren Lebenslaufdatenbanken verzeichnen als noch 2014: über 10.000 Profile allein zur Suchanfrage „Krankenpfleger“ bei XING! Auch darf man nicht vergessen: Die Etablierung eines neuen digitalen Recruiting-Kanals läuft (auch in anderen Branchen) nicht so, dass Arbeitgeber erst mal abwarten, bis sich genügend relevante Bewerber dort tummeln, bevor sie sich die Mühe machen, dort zu inserieren oder auf die Suche zu gehen. Es ist eine sich wechselseitig bedingende Entwicklung: Je mehr Arbeitgeber sich in einem bestimmten Kanal herumtreiben, desto mehr spricht es sich unter den Bewerbern herum, dass es sich lohnt, dort ein Profil anzulegen oder auf Jobsuche zu gehen. Irgendwann ist die kritische Masse erreicht, beide Seiten treffen aufeinander. Unsere Bewerber (und selbst Fachkräfte, die derzeit nicht aktiv auf Jobsuche sind) müssen von uns dazu ermutigt werden, sich in den digitalen Kanälen sichtbar zu machen, damit wir sie als Recruiter finden können!
Stimmt nicht! Natürlich: Wer seit zwei, drei Jahren ein Unternehmensprofil bei Facebook betreibt, ein paar hundert Fans gesammelt hat und dort ein, zweimal in der Woche Fotos vom Mitarbeiterfest und einen Link zur Stellenbörse postet, kann der Geschäftsführung leider immer noch nicht berichten, dass sich die Social Media-Arbeit wirklich lohnt. Aber wer sich in einer der zahlreichen Facebook-Gruppen für Altenpfleger, Heilerziehungspfleger & Co. durch intelligente Diskussionsbeiträge einen Namen macht, wer das Vertrauen der Gruppe gewinnt, der kann dort Kontakte knüpfen. Wer diese Kontakte dann per Facebook Messenger persönlich anspricht, kann sie zu „Freunden“ machen. Und wer diese „Freunde“ eine Weile mit Rat und Tat durch den Berufsorientierungs- oder Selbstverwirklichungs-Dschungel begleitet hat, kann ihnen irgendwann auch einen Job anbieten. So (zum Beispiel) funktioniert dann auch Recruiting per Facebook.
Dass die wenigstens Unternehmen im Sozial- und Gesundheitswesen den finanziellen Spielraum haben, um ihre Personalabteilung von heute auf morgen um Stellen für Social Media-Manager, Recruiter und IT-Spezialisten zur Einrichtung eines digitalen Bewerbermanagements zu erweitern, ist klar. Doch auch in Personalabteilungen kommen und gehen Mitarbeiter. Wer bei der nächsten regulären Stellenbesetzung darauf achtet, nicht einfach nur einen weiteren „Personalreferenten“ oder „Personalsachbearbeiter“ einzustellen, sondern einen echten „Recruiter“ möglichst mit Alltagserfahrung in anderen Branchen und mit den Social Media, ist schon einen großen Schritt weiter. Wer sich dann einmal fragt, mit welchen unnötigen Aufgaben die Mitarbeiter in der Personalabteilung teilweise noch beschäftigt sind, wird erkennen, dass diese Zeit viel besser genutzt werden kann. Papierbewerbungen vervielfältigen, Stellenanzeigen in Dutzenden kostenlosen Onlinebörsen einpflegen, die sowieso keinen Rücklauf bringen, Bewerbermanagement händisch durchführen, obwohl es mit den einschlägigen Softwares viel schneller geht – das muss alles nicht sein. Stattdessen sollten Personaler ihre Arbeitszeit lieber damit verbringen, Active Sourcing zu betreiben, den Talentpool regelmäßig durchzutelefonieren und eine 1A-Servicedienstleistung für den Bewerber abzuliefern. Und nicht zuletzt: Ja, es kostet einige Mühe, neue digitale Kanäle einzurichten, aber wenn sie erst laufen, laufen sie. Prozesse spielen sich ein. Ein Vollzeit-Job ist ein Facebook-Kanal nun wirklich nicht. Und eine Stellenanzeige in einer der neuen Apps wie truffls, mobilejob oder tandemploy einzupflegen, dauert auch nicht länger als sie in der Zeitung zu schalten.
Im Sozial- und Gesundheitswesen arbeiten wir mit Menschen – und da kann es einem durchaus moralisch verwerflich vorkommen, einem Senioren seine Lieblingsaltenpflegerin zu entreißen, indem man ihr einen Job im Konkurrenz-Pflegeheim anbietet. Ob das moralisch verwerflich ist, ist aber leider gar nicht mehr die Frage, denn das Abwerben von Mitarbeitern über digitale Karrierenetzwerke passiert schon längst. Und wer nicht mitmacht, riskiert, abgehängt zu werden. Rund 700 Euro Prämie wird durchschnittlich für die Empfehlung einer wechselwilligen Pflegefachkraft bei „Mitarbeiter werben Mitarbeiter“-Programmen wie talentry gezahlt. Krankenhäuser gehen gezielt auf Mitarbeiter bei der Konkurrenz zu und versprechen Antrittsgeschenke. Es herrscht Fachkräftemangel und wir können uns keine neuen Mitarbeiter backen, also müssen wir wohl oder übel in den Kampf um die vorhandenen Fachkräfte einsteigen. Der moralische Aspekt kann dabei durchaus berücksichtigt werden: Es geht schließlich nicht darum, Pflegekräfte oder Erzieher mit perfiden Mitteln in die eigenen Teams zu locken. Es geht darum, ihnen wirklich bessere Arbeitsbedingungen, mehr Wertschätzung und eine bessere Bezahlung zu bieten als die Konkurrenz, um dann mit Fug und Recht sagen zu können: Bei uns sind Sie besser aufgehoben!
Maja Roedenbeck Schäfer (Jahrgang 1976) leitet seit 2011 die Kampagne „SOZIALE BERUFE kann nicht jeder“ der Diakonie Deutschland. Als Dozentin zum Thema Recruiting und Personalmarketing ist sie u.a. für die Quadriga-Hochschule und die Bundes- und Führungsakademien für Kirche und Diakonie tätig. Sie bloggt auf www.personalgewinnung-in-der-pflege.de und schreibt nebenberuflich Sach- und Fachbücher, unter anderem: „Recruiting to go für Sozial- und Pflegeeinrichtungen – Sofort umsetzbare Ideen, Tipps und Tools zur zeitgemäßen Personalgewinnung“ (Walhalla, 2017).